"Autograph" - Sendung im Poln. Fernsehen (TVP), 2. Programm,
24. 11. 2002, ab 22.55 Uhr. Mit Jacek Zakowski, Janusz Olejniczak, Anda
Rottenberg, Stefan Chwin, K. Penderecki. (Zusammenfassung von MH u.
übersetzte
Auszüge)
In der von Jacek Zakowski geleiteten Sendung "Autograf" im Polnischen
Fernsehen (24. 11. 2002, 2. Programm) wurde Krzysztof Penderecki
begrüßt
als Gast des Pianisten Janusz Olejniczak. (Weitere Teilnehmer: Anda
Rottenberg
und Stefan Chwin)
[Janusz Olejniczak [JO] fragte nach den Gründen, warum Penderecki
erst so spät ein Klavierkonzert schrieb. ]
KP: "Ich denke deswegen, weil meine erste Frau Pianistin war. (...)"
[JO hatte anfangs vermutet, Penderecki möge einfach das Klavier
nicht, und selbst aus einem Konzert mit Chopin sei er einmal
geflüchtet.]
KP:" na, das hängt davon ab, wer spielte ... "
JZ: "Und wer spielte?"
KP: "Das weiß ich nicht mehr."
[JO berichtet von der begeisterten Reaktion des New Yorker Publikums
auf das 'Klavierkonzert'. In Warschau hingegen passierte etwas, das
seit
langem in der Philharmonie beim Warschauer Herbst nicht mehr vorkam:
dass
ein Teil des Publikums]
JZ: "es rief Buh, und pfiff ... "
JO: "pfiff oder pfiff nicht, nun, man hörte schon eine gewisse
Unzufriedenheit. Aber wie auch immer ..."
JZ [zu KP]: "Haben Sie das gehört?"
KP: "Ich habe das vom Band gehört."
JZ: "haben sie gebuht?"
KP: "Ein Grüppchen von Leuten. Ich erinnere mich an den Anfang
des 'Warschauer Herbstes', als man anfing, mich dort zu spielen, das
war
in den 50er Jahren. Es gab auch Grüppchen von Leuten, die
protestierten,
denn damals war meine Musik für sie völlig
unverständlich.
Ich weiß noch, dass Professor Rytel sogar Pfeifen für seine
Studenten kaufte, und sie zum Pfeifen aufforderte. Ähnlich ist die
Situation heute. Denn es gibt solche, die pfeifen und protestieren
...
Weil, wenn Sie vom Publikum sprechen, so scheint mir, dass dies gar
kein
Publikum ist; dass sind meine Kollegen, das sind die Nachgeborenen
[pogrobowcy]
der Avantgarde, das ist die zweite Generation der Epigonen der
Avantgarde,
die sich selbst einfach nichts Neues mehr ausdenken können. Uund
außerdem
wird von einem Komponisten, der mit der Avantgarde begann, erwartet,
dass
er sein Leben lang die gleiche Musik schreibt. Das ist
schließlich
unmöglich."
JO: "Das bedeutet, dass Sie, Herr Professor, sagen möchten, dass
zumindest einige Kollegen in den Laboratorien sitzengeblieben sind und
weiterhin (keiner weiß wonach) suchen, obwohl alles schon
gefunden
wurde?"
KP: "Suchen sollte man, nur muß man von Zeit zu Zeit etwas
finden.
Aber wenn die Schubladen leer sind, denn so ist es leider, dann ist da
etwas nicht in Ordnung."
JO: "Und, bitte sagen Sie mir, ob- aus der Höhe Ihrer
Größe,
Ihres Ruhmes und ihrer in der ganzen musikalischen Welt unbestrittenen
Authorität - ob dort Kritiken Sie überhaupt noch streifen?"
(...)
KP: "Ich denke, dass Kritik für jeden notwendig ist."
JZ: "Schätzen Sie also manche Kritiker, mit denen Sie einen Dialog
hatten - internationale Kritiker, deutsche oder andere ...?
KP: "Ich antworte Ihnen darauf. Zum Beispiel - bleiben wir bei dem
polnischen Umfeld. Wie Mieczys*law Tomaszewski, der ein herausragender
Musikwissenschaftler ist; er schreibt wunderbare Bücher, er
schrieb
die wohl beste Bibliographie [sic!] Chopins; wenn er über mich
etwas
schreibt, dann überlege ich, ob er nicht Recht hat. Aber wenn
jemand
schreibt, der niemals ein Buch schrieb und nun mal Komplexe hat - dann,
ganz einfach, beachte ich das nicht. Ich denke, wenn wir über
diese
Kritiker sprechen, machen wir nur Reklame für ihn [sic! MH], und
dann
wird er ein Lepper, ein Lepper der Musikwissenschaft beispielsweise,
der
alles negiert, was geschieht."
JZ: "Na ja, aber hier muß ich. Denn schließlich wissen
alle Zuschauer sicher, von wem die Rede ist; es ist die Rede von
Herrn Chlopecki
, der in der "Gazeta Wyborcza" einen sehr brutalen Text
über
Herrn Penderecki schrieb."
KP: "Aber dies nicht zum ersten Mal."
JZ: "Früher über Herrn Kilar, den er mit einem Killer
verglich;
nun, jetzt muß ich sie fragen, ob er nicht ein wenig Recht hat.
Dort
gibt es konkrete Vorwürfe, beispielswiese dass Sie in Ihrem beim
'Warschauer
Herbst' gezeigten Klavierkonzert sich selbst zitieren, dass dies
eigentlich
eine Sammlung von Selbstzitaten ist, und dass niemand weiß, warum
Sie das so zusammenkleben. Ist es so, oder nicht?"
KP: "Alle Sinfonien Mozarts sind Selbstzitate
, um von den Konzerten
gar nicht zu sprechen, ebenso. [sic] Ein Künstler hat das Recht,
zurückzugreifen
auch auf das eigene Schaffen, und selbst wenn (...) Mein ganzes
Schaffen
ist ein Selbstzitat, denn ich schreibe zyklisch. Jede folgende Sinfonie
bezieht sich und behandelt gleichsam Themen der vorigen Sinfonien als
Variationen
für die folgenden."
JZ: "Ist Penderecki heute anders, als er war - sich von der Avantgarde
zurückzieht ... (...)"
KP: "Wir sind an einem ganz anderen Ort der Geschichte, und diese
Leute,
wie ich denke, dass sie gar nichts verstehen, weil sie immer noch
gleichsam
in der Avantgarde der 50er Jahre sind. Weil die Avantgarde - Sie werden
mir hier bestimmt Recht geben - die Avantgarde, das waren vor allem 4-5
Jahre, nicht wahr? Das dauerte nicht 40 Jahre, nicht wahr?"
AR: "Nein, da bestehen Differenzierungen. Es existiert ein Begriff
von Avantgarde, als etwas Allgemeinem" (...)
KP (...) "Für mich ist das, was in der polnischen Musik passiert,
einfach Epigonentum. Das ist schon die zweite Generation von Epigonen,
die wiederholen, leider nicht so gut, was wir in den 50er Jahren
machten.
Darauf beruht ihr Problem." (...)
JO: "Wofür soll man Ihre Werke beim 'Warschauer Herbst' spielen,
wo sie doch auf den Konzertbühnen für ein normales Publikum
existieren
... "
KP: "Nun, aber das war nicht meine Idee. Der 'Warschauer Herbst' wollte
mein Werk spielen. Ich bin natürlich der Meinung, dass dies ein
Ort
ist, wo neue Komponisten auftreten sollten, junge, die irgendwelche
neuen
Strömungen in der Musik vorstellen, von denen es sehr wenige gibt.
Dieser 'Warschauer Herbst' in den 50er Jahren sah ganz anders aus. Hier
war Polen. Warschau war ein Mekka [WORT PRÜFEN!] der neuen Musik,
wo Menschen nicht nur aus dem Westen anreisten, die von hinter dem
Eisernen
Vorhang, sondern auch aus dem Osten, wo wir russische Musik spielten,
die
dort nicht aufgeführt wurde, bulgarische, tschechische usw. Jetzt
hat der 'Herbst' einen ganz anderen Charakter. Das ist ein normales
Festival,
wo man, wie ich denke, alles spielen sollte. Allerdings gibt es einen
wesentlichen
Unterschied. An der Spitze der 'Warschauer Herbste' stand jedoch
für
viele Jahre eine große Authorität, Lutoslawski. Jetzt
allerdings
– ich will hier niemanden beleidigen – aber ich kenne von
kompositorischer
Seite keinen von diesen Leuten. Hier ist etwas nicht in Ordnung. Ich
bin
beispielsweise der Meinung, dass - was weiß ich ? - Kilar oder
Górecki
beispielsweise Präsident des Festivals sein sollte. Nun, diese
Schwelle
sollte schon sehr hoch sein, und nicht ununterbrochen bloß die
eigenen
guten Bekannten zu spielen."
[STChw fragte nach Plänen für die Zukunft, nach einer
Entwicklungsrichtung.]
KP: (...) "Ich denke, dass diese meine Linie hier klar ist und ich
gewissermaßen nur meine neuen Werke jenen hinzufüge, die
schon
da sind."
JO: "Und es gäbe noch ein Klavierkonzert?"
KP: "Ich würde gern für zwei Klaviere schreiben ..."
JO: "Ich habe einige Kollegen ... "
KP: "Wenn man schreibt, gibt es immer so genannte Abfälle, die
Skizzen bleiben. Und ich denke, dass ich diesmal ein Konzert für
zwei
Klaviere schreiben werde."
JZ: "Aber sagen Sie mir, wenn nun bei einem Festival wie der
'Warschauer
Herbst' dieses Publikum zu pfeifen beginnt, zu trampeln usw., zu
stöhnen
... "
KP: "Aber das ist doch kein Publikum!"
JZ: (...)
[Penderecki weiter über die Musikszene in Polen]
KP: "Das erinnert mich an so eine kleine Geschichte von Käfern,
ich weiß nicht, ob Sie das kennen ... "
AR: "Wie der Käfer eine Käferfrau sucht?" [Populäres
polnisches Kindergedicht von Jan Brzechwa; was Penderecki im Folgenden
widergibt, stammt aus Russland, Anm. MH]
KP: "Nein. Also: bekanntlich wohnen Käfer im Mist. Und eines Tages
hebt der Papa mit dem Söhnchen den Kopf aus diesem Misthaufen,
sieht
sich um, und das Söhnchen sagt zum Vater: 'Papa, warum sitzen wir
immer in diesem Mist, dabei scheint die liebe Sonne, die Vögelchen
singen, Rasen und Blümchen, warum müssen wir denn hier
wohnen?'
'Lieber Sohn, antwortete der Vater, weil dies unser Vaterland ist.' Und
es gibt etwas in diesem polnischen – ich wollte hier kein anderes Wort
gebrauchen ... So empfinden wir das alle." Vor allem, wenn man
jahrelang
im Ausland lebte und dann so ein wenig hineintritt in diesen
Misthaufen
,
wenn man hierherkommt. Weil hier einfach jeder dem andern ein Bein
stellen
will."
AR: "Dies Klavierkonzert wurde von Gabriel Chmura geleitet. Vielleicht
lag beim Dirigenten ein Teil der Schuld ... "
KP: "Nein, hier gab es keinerlei Schuld. Selbstverständlich war
ich bei der New Yorker Aufführung und später in Philadelphia
... [in Warschau nicht, Anm. MH]
JZ fragte, ob nicht möglicherweise eine so scharfe Kritik die
Menschen stärker für ein Werk interessieren und damit auch
der
Musik dienen könnte?
KP: "Eine ehrliche Kritik ist notwendig, denn ein Künstler braucht
eine kalte Dusche, aber keine Jauche. Und hier liegt wohl der
Unterschied."
[Konsternation im Studio – Kameraschwenk –