Andrzej Chlopecki
Scharf hingehört // Sozialistisch-realistischer Penderecki
Das Festival "Warschauer Herbst" fand seinen Abschluß in der
europäischen Erstaufführung und wohl auch teilweisen Uraufführung
des Klavierkonzerts von Krzysztof Penderecki. Vor der Warschauer Aufführung
hatte der Komponist an der Partitur Änderungen vorgenommen, und so
erlebten wir im Abschlußkonzert des 45. Festival-Jahrgangs die Teil-
Uraufführung eines Werks, unter das einer der bekanntesten und populärsten
Komponisten unserer Zeit seinen Namen gesetzt hatte. Nach der Aufführung
vermischte sich lauter Beifall mit Buh-Rufen, die ostentativ ihren Widerspruch
zum Applaus Ausdruck gaben.
Der Kommentator des Berliner DeutschlandRadios griff aus dem Festivalprogramm
(in einem Beitrag, der zwei Tage Endes des Festivals, also am 30. 09.,
gesendet wurde) zwei skandalöse Provokationen heraus: das instrumentale
Theater des jungen Komponisten und Kontrabassisten Aleksander Gabrys, der
während der Aufführung seine Haare schnitt und in einer brutalen
Geste eine Geige zerschmettern ließ (und seinen Auftritt offensichtlich
auf die Provokation eines Skandals anlegte), sowie das Klavierkonzert Pendereckis,
das auf andere Weise skandalös sei. Die authoritative und populäre
kompositorische Berühmtheit fand sich somit in demselben Kontext wieder
wie eine aggressive Schmähung seitens eines Jungen Wilden. Ein junger
Komponist, der eine Geige zertrümmern läßt, entweiht ein
Symbol. Eine beim Konzert anwesende herausragende Persönlichkeit aus
der kompositorischen und musikwissenschaftlichen Musikszene Europas hält
den Einsatz von Kirchenglocken, wie sie gegen Ende von Pendereckis Werk
aus den Lautsprechern klingen, für die Entweihung eines Symbols.
Penderecki zählt sein Konzert innerhalb seines Schaffens zur "Capriccioso"-Strömung
- virtuos und von leichtgewichtiger Thematik. In dieser Richtung, frei
von geistig Hochtrabendem und von weltanschaulichen Ansprüchen (im
letzten Jahrzehnt präsent in Werken wie Sieben Tore Jerusalems und
Credo), stehen zahlreiche Werke der letzten Jahre - zu Beginn des Jahrzehnts
markiert von der Oper Król Ubu und zu seinem Ende vom Concerto grosso
für drei Violoncelli und Orchester. Penderecki erklärte einmal,
ihm läge daran, sich auf die claritas der Kammermusik zuzubewegen
und dort nach edlem Sinn zu suchen - in dieser Werkgruppe hatten wir unter
anderem sein Sextett. Das Problem besteht jedoch darin, dass der Komponist
in den letzten Jahren alles tut, damit wir ihm nicht länger glauben
können - weder bei dem, was er mit buffo unterschreibt, noch bei dem,
was er als serio bezeichnet. Weder bei dem, was er in Tönen schreibt,
noch bei dem, was er in Worten verkündet. Dieselben Musikabschnitte,
entnommen der ernsten Oper Die Schwarze Maske und hineingeklebt in die
komische Oper Ubu Rex, sollen uns dort zum Lachen bringen; die edle claritas
der Kameralistik, hineinkopiert in den Kontext philharmonischer Unterhaltung,
umgarnt den Hörer und bringt ihn mit ihrer doppelten Kodierung durcheinander.
Im Fall des Konzerts umhüllt Penderecki Spiel und Übermut, auf
die er nicht verzichten will (denn schließlich sind sie es, die dem
Werk Popularität auf den Konzertbühnen sichern sollen) mit einer
Aussage, die dabei für eine gedankliche Erpressung sorgt. Eine solche
Erpressung ist die Information, dass das Werk in Pendereckis Intention
mit der New Yorker Tragödie des 11. September 2001 zusammenklinge.
Folglich sollen wir uns am Jonglieren mit besonders dicht gestreuten Zitaten
aus der gesamten Werkliste der letzten ca 20 Jahre Pendereckis erheitern
(in der Tat ist in dieser Partitur der Anteil von Noten, die speziell
für sie geschrieben wurden, verschwindend gering), und wir sollen
gleichzeitig das Lachen unterdrücken, denn diese Noten erhielten eine
Widmung an etwas, das Schrecken hervorruft und Emotionen, die von buffo-Phrasen
weit entfernt sind.
Auf der noch glühenden Asche tanzt Krzysztof Penderecki ganz fröhlich
und informiert uns gleichzeitig mittels seiner in die Partitur verflochteten
Choräle sowie seiner Selbstkommentare, er solle (Trauer)Asche auf
sein Haupt streuen. Mit seinem Werk übermittelt uns der prominente
Komponist gleichermaßen die Grimasse eines lustigen Hanswurst sowie
die verdüsterte Mine eines Predigers - im Glauben daran, dass auf
zumindest eine dieser Posen zumindest ein Teil der Zuhörer mit Applaus
reagiert.
Es gab einmal in der Musikgeschichte eine ästhetische Strömung,
die auf eine einfache und für das einfache Volk zugängliche Weise
den Ehrgeiz hatte, es geistig zu läutern und zur Welt der wahren und
richtigen Ideen zu erheben. Dies war der Sozialistische Realismus. Dessen
Präsenz in der polnischen Musik fegte Krzysztof Penderecki mit seinen
Werken der sechziger Jahre hinweg. Pendereckis Partituren der 70er und
80er Jahre verdanken wir, dass die ebenso tiefe wie weite Perspektiven
eröffneten. Mit dem Klavierkonzert jedoch verkündet er den unzeitgemäßen
Triumph der sozialistisch-realistischen Ideologie und gibt deren Ideologen
Andriej Zdanow ebenso Recht wie dessen von Stalin eingesetztem Sachverwalter
Tichon Chrennikow. Penderecki kehrt die Bedeutung seiner Partituren, an
die wir so gerne glauben wollten, um. Mit seinem Klavierkonzert gibt Penderecki
uns zu verstehen, dass jeglicher Glaube an seine Partituren unseren Glauben
nicht wert ist.
Andrzej Chlopecki